Nach dem Lockdown: Fünf Friseure aus Reutlingen berichten


Foto: Sascha Schneider

Durchhalten um jeden Preis?

Seit einem Jahr leben wir alle in und mit der Pandemie. Seit einem Jahr bangen viele um ihre Gesundheit, Betriebe um ihre Existenz. Besonders das Friseurhandwerk hat aufgrund des zweimaligen Lockdowns gelitten. Eine Bestandsaufnahme aus der Reutlinger Innenstadt.

Sehnsucht nach den Kunden

Als Simone Häußler am 8. Januar 2020 mit ihren Salon „Frau Mön“ Eröffnung feierte, ahnte sie nicht, dass bereits Anfang März die Tür wieder zu bleiben würde. Ihren kleinen Salon, der den Charme eines Wohnzimmers der 1950er-Jahre versprüht, hat sie mit Vintage-Möbeln und viel Liebe zum Detail eingerichtet. „Wenig sollte an einen heute üblichen Friseursalon erinnern, die Atmosphäre so angenehm wie in Omas Wohnzimmer sein“, erzählt die 49-jährige Friseurmeisterin.

Das ist ihr gelungen, so gut, dass Passanten anfangs dachten, es handele sich um ein Blumengeschäft oder um eine extravagante Modeboutique. Die gebürtige Reutlingerin, die ursprünglich Musical und Tanz studierte, als Maskenbildnerin arbeitete, nebenher Tierpsychologie studierte, in Namibia eine Tierauffangstation für Großkatzen leitete, später eine Hundeschule betrieb und als Trainerin für ein namhaftes Haarpflegeunternehmen arbeitete, verschlug es irgendwann wieder nach Reutlingen. Der Traum vom eigenen Salon war geboren, realisiert und kurz darauf wieder unterbrochen worden.

"Ich konnte es nicht glauben, dass ich zur Untätigkeit verdammt und ausgebremst wurde."
Simone Häußler

„Ich konnte es nicht glauben, dass ich zur Untätigkeit verdammt und ausgebremst wurde“, berichtet Simone Häußler. „Was mir im ersten und auch im zweiten Lockdown vor allem zu schaffen machte, war, dass ich auf den Austausch mit meinen Kunden verzichten musste. Finanziell sah ich der Lage anfangs, auch aufgrund der Soforthilfe entspannt entgegen, hatte auch noch eigene Reserven, mit denen ich ein paar Wochen über die Runden kommen würde.“ Auch vom weit längeren zweiten Lockdown, in dem sie nicht die Füße hochlegte und die Zeit nutzte, sich über neue Färbetechniken und Trends zu informieren, lässt sie sich nicht die Laune verhageln, auch wenn bisher keine staatliche Hilfe geflossen ist.

Sie fühle sich wieder wie 18, sei voller Energie und Tatendrang freue sich täglich auf ihre Arbeit. Und wenn die Corona-Verordnung sie dazu zwingen würde, von ihren Kunden einen Pflichtschnelltest zu fordern, dann würde sie diesen besorgen: „Es ist wichtig, dass wir alle unseren Verstand einschalten, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, denn einer dritter Lockdown wäre für mich nicht mehr so leicht wegzustecken.“

Simone Häußler.

Die schlaflosen Nächte sind vorbei

In der Nähe des Reutlinger Gerberbrunnens befindet sich der Friseursalon von Selda Yalcin. Seit sie ihn im März 2019 dem Vorbesitzer abgekauft hat, arbeitet die heute 30-Jährige unter Hochdruck daran, die alten Kunden zufriedenzustellen und neue zu gewinnen. Vier Mitarbeiterinnen und eine Auszubildende verstärken das Team. Die Atmosphäre im Salon ist freundschaftlich, davon konnte sich die junge Frau, die seit 13 Jahren ihren Beruf ausübt, im zweiten Lockdown überzeugen: „Mir ging es überhaupt nicht gut.

Neben den finanziellen kamen die Sorgen um meinen Schwager hinzu, der mit einer Corona-Erkrankung auf der Intensiv-Station lag.“ Und wären da nicht ihre Kolleginnen gewesen, die sich regelmäßig bei ihr meldeten, ihr gut zuredeten, sie wieder aufbauten, Selda Yalcin hätte den Salon im März wohl nicht wiedereröffnet. „Ich konnte keine Nacht mehr schlafen, sorgte mich um meine Mitarbeiter und den Laden, weinte viel. Die Angst vor dem Existenzverlust war unbeschreiblich.“ Ohne die großzügige finanzielle Unterstützung ihres Vaters, hätte sie es nicht geschafft.

„Ich wollte nicht mit 30 Jahren vor dem Aus stehen.“
Selda Yalcin

Selda Yalcin Nun steht sie seit der Wiedereröffnung am 1. März täglich 12 Stunden ohne Mittagspause in ihrem Salon, nachdem am Wochenende zuvor alle gemeinsam diesen wieder auf Vordermann gebracht haben: „Das Ordnungsamt war in der ersten Woche auch schon da, beanstandet wurde lediglich, dass kein Hinweis auf eine bargeldlose Zahlung aushing.“ Selda Yalcin ist emotional wieder gefasst, auch wenn die Angst vor dem dritten Lockdown ihr ständiger Begleiter bleibt. Der Antrag auf Überbrückungshilfe III ist gestellt, nun wartet sie auf die Abschlagszahlung.

Selda Yalcin.

Sekt und Kuchen zur Wiedereröffnung

In Reutlingen gibt es kaum jemanden, dem der Name Roberto Laraia nichts sagt. Der Obermeister der Friseurinnung Reutlingen, dessen Vater bereits vor Jahrzehnten Reutlingens angesagter Friseur war, setzte und setzt sich wie kein anderer für die Belange des Friseurhandwerks ein.

"Der zweite Lockdown für Friseure hätte nicht sein müssen."
Roberto Laraia

In Corona-Zeiten ist er ein unermüdlicher Mahner zur unbedingten Einhaltung der Hygienevorschriften im Friseurgewerbe geworden. „Wir Friseure müssen Hygienebotschafter sein. Bei uns muss sich jeder sicher fühlen. Wir sind keine Infektionstreiber. Ich weiß, dass einige sich an keine Regeln halten, die sind aber die Minderheit“, so der 57-jährige Roberto Laraia. „Und von der Politik bin ich enttäuscht, der zweite Lockdown für Friseure hätte nicht sein müssen.“

Zwei Salons besitzt der fünffache Friseurweltmeister, einen in Reutlingen, einen weiteren in Tübingen mit insgesamt 14 Angestellten und fünf Auszubildenden. Knapp 30 Prozent weniger Umsatz bescherten ihm die Zwangspausen. Die Überbrückungshilfe III sieht er skeptisch, werden nur 90 Prozent aller Fixkosten übernommen, der Unternehmerlohn spiele aber keine Rolle. „Von was soll ich leben? Die einzige sinnvolle Alternative wäre die Senkung der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent.“

Trotz allem Ärger und der Wut, die er ab und an empfinde, freue er sich doch über alle Maßen, wieder arbeiten zu dürfen. Mit verlängerten und flexiblen Öffnungszeiten versuchen er und sein Team dem Kundenansturm gerecht zu werden. „Das Telefon klingelt nahezu pausenlos, was zeigt, dass die Menschen Friseure schätzen und für das seelische und körperliche Wohlbefinden benötigen.“ Und dass die Kunden ihren Figaro mögen, zeigen die vielen Kundengeschenke, die er nach der Wiedereröffnung bekam: „Sekt, Kuchen, Blumen, ich fühlte mich, als wenn ich den Salon zum ersten Mal öffne.“

Roberto Laraia.

Mietzuschüsse wären hilfreich

In der Straße mit der größten Friseurdichte Reutlingens, der Metzgerstraße, betreibt Jens Swafing zwei Salons. In der ersten Woche nach dem zweiten Lockdown arbeiteten der 49-Jährige und seine 12 Angestellten und acht Auszubildenden am Anschlag. Da Swafing schon vor längerer Zeit seine Kundendatenbank digitalisiert hatte, war es ein Leichtes für ihn, alle Kunden anzurufen und Termine auszumachen.„Keiner ist zur Konkurrenz gegangen, alle waren froh, wieder vorbeikommen zu können“, so Swafing.

„Eine 70-Stunden-Woche ist jetzt normal.“
Jens Swafing

Über etliche „unmoralische Angebote“ während der beiden Lockdowns könne er aber berichten. Einladungen auf eine Tasse Kaffee, ein Glas Wein nebst Schere und Friseur-Equipment kamen schon vor. Diese Einladungen nahm er nicht wahr, weiß aber von vielen, dass die Zeit in der die Salons zu waren, regelrecht zur Schwarzarbeit verleitet hätte.

Hoffnung auf finanzielle Unterstützung mache er sich nicht, sein Vermieter war lediglich zu einem Rabatt von 5 Prozent der Kaltmiete bereit. Swafing: „Das ist ein Schlag ins Gesicht. Seit 20 Jahren zahle ich pünktlich meine Miete.“ Um den Einzelhandel in Reutlingen zu unterstützen, hätte er sich ein ähnliches Mietzuschuss-Modell wie in Tübingen gewünscht: Dort zahlt der Gewerbetreibende nur 50 Prozent der Miete. Von den restlichen 50 Prozent zahlt die Stadt Tübingen aus einem Fonds 70 Prozent dazu.

Jens Swafing.

Aufgeben gibt es nicht

„Die Stimmung im Betrieb ist blendend“, sagt Helmut Kutzer. Wie könnte es auch anders sein, nachdem in seinen Salon in der Bahnhofstraße wieder das Leben zurückgekehrt ist. Sechs Wochen und ein Tag war das Geschäft im vergangenen Frühjahr geschlossen, dann der zweite Lockdown ab Mitte Dezember. Der 58-Jährige, seine drei Teilzeitkräfte und eine Auszubildende sind einfach nur froh, dass sie wieder ihrer Arbeit nachgehen können. Der große Andrang, als die Kunden von sieben Uhr morgens bis abends um zehn bedient wurden, sei mittlerweile bewältigt und dabei viele Frisuren wiederhergestellt und so manches Missgeschick behoben worden. „Wir haben alles gesehen. Ungewöhnliche Haarlängen und auch ebensolche Eigenkreationen, wenn Kunden oder deren Vertraute in der Not selbst zur Schere gegriffen haben.“ Nach zwei Wochen Dauereinsatz pendele sich nun wieder alles auf normalem Niveau ein.

„Mein Laden hier, das ist mein Leben.“
Helmut Kutzer

Wirtschaftlich sieht es anders aus. Bislang hat der Friseurmeister einen fünfstelligen Betrag zugebuttert, um die während der Zwangspause weiterlaufenden Kosten stemmen zu können. Was von den staatlichen Hilfen letztlich übrig bleibt, kann er noch nicht abschätzen. „Die Abschlagszahlung auf die Dezemberhilfe, die im Februar gekommen ist, muss ich wieder zurückzahlen, weil wir ja noch den halben Monat geöffnet hatten“, berichtet Kutzer. Über das Kleingedruckte der Programme und das Hin und Her möchte er sich nicht ärgern. Einen Antrag auf Überbrückungshilfe hat er ebenfalls gestellt. „Mal sehen, was kommt.“

Besuch vom Ordnungsamt hatte er bereits. Zwei Kontrolleure schauten, ob die Regeln für die Terminvergabe, die Hygienevorschriften und die Maskenpflicht eingehalten werden. „Keine Beanstandungen. Alles in Ordnung“, betont Kutzer, der sich mit 800 Masken eingedeckt hat. Allerdings zweifelt er daran, ob der lange zweite Lockdown wirklich notwendig gewesen ist. „Der Friseurbesuch ist sicher. Die Auflagen haben wir schon im letzten Jahr umgesetzt. Es ist alles eingespielt.“

Ob es dieses Mal von Dauer ist oder eine nochmalige Schließung droht? Kutzer ist skeptisch: „Ich traue der Sache nicht ganz.“ Jedenfalls hat er sich vorgenommen, auch einen dritten Lockdown, wenn er denn kommen sollte, wirtschaftlich zu überleben. Aufgeben sei für ihn, der den Betrieb seit 1993 in dritter Generation führt, ohnehin keine Option. „Mein Laden hier, das ist mein Leben.“

Helmut Kutzer.