Betriebe erwarten unruhigere Zeiten
Das Frühjahr lief für die Handwerksbetriebe in der Region besser als erwartet. Trotz Lieferengpässen und gestiegener Einkaufspreise war die Mehrheit mit der Geschäftslage rundum zufrieden. Für den Herbst stellen sich die Betriebe jedoch auf unruhigere Zeiten ein.
„Die Hoffnung vom Jahresbeginn auf eine kräftige konjunkturelle Erholung nach zwei Corona-Jahren ist seit dem Angriff auf die Ukraine verflogen. Der Krieg verschärft nicht nur die bereits bestehenden Schwierigkeiten vieler Gewerke, etwa bei Material und Vorprodukten, sondern bringt vollkommen neue Herausforderungen, sollte die Energieversorgung in den kommenden Monaten, wie zu befürchten ist, nicht wie im bisherigen Umfang gesichert sein. Nicht vergessen werden darf die Corona-Lage im Herbst. Angesichts dieser Gemengelage hat die Verunsicherung zugenommen“, kommentiert Harald Herrmann, Präsident der Handwerkskammer Reutlingen, die Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfrage der Kammer.
Mit dem zurückliegenden Quartal waren die Handwerksbetriebe in den Landkreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollern-Alb zufrieden. Zwei Drittel der Befragten bewerteten die aktuelle Geschäftslage als gut. Mit 67,0 Prozent waren es sogar noch etwas mehr als im Vorjahr (64,6 Prozent). Im selben Zeitraum nahm der Anteil derjenigen, die sich unzufrieden äußerten von 12,6 Prozent auf 10,6 Prozent ab.
In die gute Stimmung mischt sich Skepsis
Dass dieses Stimmungshoch nicht von Dauer sein dürfte, legt die Prognose der Betriebe nahe. Zwar erwartet die Mehrheit keine einschneidenden Veränderungen in den kommenden Wochen, allerdings haben die Pessimisten einen deutlichen Zulauf erhalten. 16,5 Prozent der Betriebe rechnen mit schlechteren Geschäften, rund die Hälfte mehr als vor einem Jahr. Der Konjunkturindikator der Handwerkskammer Reutlingen, der Lagebeurteilungen und Erwartungen zusammenfasst, erreicht +25,8 Punkte, ein Rückgang von rund acht Punkten gegenüber dem Vorjahresquartal.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei den Aufträgen ab. Während zuletzt noch jeder dritte Betrieb mehr Bestellungen verzeichnen konnte, fallen die Erwartungen für den Sommer eher zurückhaltend aus. Nur noch 15,4 Prozent sehen Luft nach oben (Vorjahr: 28,5 Prozent). Der durchschnittliche Auftragsbestand hat um gut zwei Wochen auf nunmehr 12,5 Wochen zugenommen. Deutlich darüber liegt das Bauhauptgewerbe mit 19,2 Wochen, was dem Vorjahresniveau entspricht. Ihre Auftragspolster ausbauen konnten die Ausbauhandwerker (17,3 Wochen) und die gewerblichen Zulieferer (14,3 Wochen). Der Zuwachs in diesen Branchen beträgt jeweils rund vier Wochen.
Die Betriebsauslastung hat sich nochmals erhöht. Über alle Branchen hinweg konnten 50 Prozent der Betriebe ihre Kapazitäten vollständig nutzen. Vor allem die Lage der Dienstleistungsbetriebe, die nach dem Auslaufen der Corona-Maßnahmen wieder in Tritt gekommen sind, hat sich entspannt.
Die positive Entwicklung könnte jäh zum Erliegen kommen. Im Vergleich zum Vorjahr liegen die Erwartungen in allen Branchen unter den Vorjahreswerten. Bei den Ausbaubetrieben, dem Kfz-Gewerbe und den Dienstleistern rutschten die Kennzahlen sogar in den negativen Bereich.
Hohe Preise belasten die Betriebe
Nach Herrmanns Einschätzung werden die Zeiten in jedem Fall unruhiger, beispielsweise auch im über Jahre hinweg stabilen Bau- und Ausbaubereich. „Gestörte Lieferketten, die letztlich zu höheren Preisen und unkalkulierbaren Rahmenbedingungen für die Betriebe führen, beschäftigen uns schon einige Zeit. Neuen Schub bringen steigende Zinsen. Die Folgen sind bereits sichtbar. Die Zahl der Bauanträge ist zuletzt gesunken. Verbraucher verschieben ihre Bauvorhaben erst einmal oder kommen zum Schluss, dass sie ihre Pläne bei diesen Preisen nicht mehr finanzieren können.“
Quer durch alle Branchen mussten zuletzt knapp 90 Prozent der Betriebe höhere Preise für Material und Energie bezahlen. Deutlich weniger, nämlich 63 Prozent, wollen diese Mehrkosten an ihre Kunden weitergeben. Während bei den Ausbauern rund 75 Prozent ihre Verkaufspreise erhöhen wollen, plant bei den Gesundheitshandwerkern und den Friseuren, Kosmetikern und Schneidern nur jeder zweite Betrieb diesen Schritt.
Die 13.700 Handwerksbetriebe in den Landkreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollernalb erwirtschaften einen Umsatz von über 10,5 Milliarden Euro, beschäftigen rund 80.000 Mitarbeiter und bilden über 4.500 junge Menschen aus.