Foto: Steffen Schanz

17.10.2024

Barber-Shops im Visier des Zolls

Lohndumping und Schwarzarbeit? Schwarze Schafe gibt es auch in der Barbierbranche. Die Kontrollen in Reutlingen verlaufen unspektakulär. Drei von vier Betrieben müssen allerdings noch Unterlagen nachreichen.

Der Auftritt scheint martialisch. In schönster „12 Uhr mittags“-Manier marschiert eine Gruppe Uniformierter zwischen 10 und 13 Uhr durch die Reutlinger Innenstadt. Vom Albtorplatz die Metzgerstraße hinab, dann über die Karlstraße, durchs Gerberviertel und die Wilhelmstraße hoch. Passanten drehen die Köpfe, da die zwei Männer und zwei Frauen mit der Aufschrift „Zoll“ in faustgroßen weißen Lettern auf den marineblauen Schutzwestenrücken offen sichtbar Schusswaffen tragen. Das Prüfteam der Pfullinger Zoll-Dienststelle des Hauptzollamts (HZA) Ulm komplettieren Pressesprecher Hagen Kohlmann und zwei Vertreter der Reutlinger Handwerkskammer. Da wird es gleich im ersten von vier Barber-Shops, die sie ansteuern, zwischen Tresen, Friseurstühlen und mobilem Gasofen recht eng. Die orientalische Popmusik, die aus Lautsprechern dudelt, wird angesichts dieses Aufschlags rasch abgestellt.

Die 30-jährige Teamleiterin konterkariert jedoch den ersten Eindruck: Freundlich und verbindlich erklärt sie das Anliegen der Schwarzarbeits- und Finanzkontrolle. Wenn die Deutschkenntnisse der Angesprochenen gering sind, gern auch mehrfach, langsam und verständlich. „Haben wir den einzigen Kunden jetzt vergrault?“, fragt ihr Zollinspekteurs-Kollege.

Auch er strahlt zwischen den Sideboards voller Bartpinsel, Messern, Scheren, Kämmen sowie allen Arten von Haarwasser und -wachs Vertrauen und Verständnis aus, scheint echt besorgt. Die beiden vollbärtigen jungen Mitarbeiter des optisch im Stile bekannter Whisky und Motorradmarken durchgestylten Betriebs mit fünf – zunächst leeren – Friseurstühlen bleiben entsprechend gelassen.

Dem Zoll geht es an jenem Vormittag um Melde- und Aufzeichnungspflichten, um die Einhaltung des Mindestlohns und um illegale Beschäftigung. „Schwarzarbeit ist eine Straftat“, erklärt HZA-Sprecher Kohlmann. Sie wirkt sich auf Steuer-, Kranken- und Rentenkassenabgaben aus und zieht für den Arbeitgeber hohe Geldstrafen nach sich. „Da sind wir schnell im vierstelligen Bereich“, sagt er. „Wir schließen keinen Barber-Shop, wir wollen nur die Kohle“, erläutert er flapsig. Im Ernst: Das ist Bürokratie, die nicht jeder versteht. Die aber für die Gemeinschaft durchaus einen Sinn hat.

Meist bleibt es beim Bußgeld

Martin Schübel, Abteilungsleiter Handwerksrolle bei der Handwerkskammer, und seine Mitarbeiterin kooperieren bei den derzeitigen Kontrollen mit dem Zoll. Sie können letztlich auch Betriebe stilllegen, dem Inhaber die Erlaubnis entziehen – „das geht bis hin zur Gewerbeuntersagung, wenn die notwendigen Unterlagen nicht nachgereicht werden“, erklärt er. Aber meist bleibe es bei einem Bußgeld. An jenem Morgen interessiert vorrangig, ob der eingetragene Meister tatsächlich im Barber-Shop arbeitet. Bingo: Gleich im ersten Betrieb ist den Angestellten der Name ihres Meisters völlig unbekannt. „Der Betriebsleiter muss anwesend sein“, betont Schübel. „Das verlangen wir zu 100 Prozent, 36 Stunden Unterkante.“

In diesem Bereich werde zunehmend Schindluder getrieben. Mit „windigen Geschäftsmodellen", die jüngst etwa eine Ulmer Friseurmeisterin öffentlich machte. Sie sei von Barber-Shops angefragt worden, pro forma als Betriebsleiterin zu fungieren, berichtete sie dem SWR. Das rücke die ganze seit einigen Jahren boomende Branche in ein schlechtes Licht, meint Schübel. Dabei arbeite der größte Teil der Barbiere hierzulande redlich. Die Kontrollen sollen solch leidige „Betriebsleitergeschichten“ aufdecken, die „Sorgenkinder“, wie er es nennt, aufspüren. Und damit korrekt geführte Betriebe schützen. Da das Friseurhandwerk in Deutschland meister- und zulassungspflichtig ist, setze man so ein Signal, „dass hier nicht jeder machen kann, was er will“.

Die Zoll-Teamleiterin sieht es als ihre Aufgabe, aber auch als Vorteil gegenüber den Kontrollierten, „dass wir ja für die Arbeitnehmer da sind". So nimmt die 30-Jährige bei einem „Erstaufschlag" wie am Mittwoch in Reutlingen nicht nur die Terminbücher, Abrechnungen und Computer unter die Lupe, sondern befragt gemeinsam mit ihren Kollegen an jenem Vormittag auch jeden der anwesenden Mitarbeiter: „Wie viele Leute arbeiten hier?“, „Seit wann arbeiten Sie hier?“, „Wie viele Stunden im Monat?“, „Haben Sie den Beruf gelernt?“ und „Bekommen Sie regelmäßig Gehalt? Bar oder aufs Konto?“

Arbeitsverträge werden dabei ebenso fotografiert wie Überreste von geschnittenem Haar. Damit nicht später jemand behaupten kann, er arbeite nicht als Friseur, sondern nur als Barber. Denn ein Barbier darf nur die Barthaare schneiden, rasieren und trimmen. Wenn er zusätzlich die Kopfhaare frisiert, braucht er eine Friseurausbildung.

Wo ist der Chef?

Außerdem geht es darum, wo der Chef ist. Auf diese Nachfrage hören die Zollbeamten am Mittwoch in drei von vier Fällen: „nicht da“. Mal krank, mal für zwei Wochen im Urlaub, mal hat er mittwochs frei. Das führt dazu, dass die Prüfer wiederkommen. Zunächst aber hinterlässt das Kontrollteam die schriftliche Aufforderung, weitere Unterlagen vorzulegen. „Nee, noch nicht finito, ich brauch’ noch was von Ihnen“, sagt die 30-Jährige zum Chef eines Salons in Rathausnähe, der nicht genau sagen kann, seit wann er schon selbstständig ist. „Diesen Fragebogen müssen Sie ausfüllen. Ich brauche das bis Freitag nächste Woche. Vielleicht fragen Sie jemand, der Ihnen das übersetzt?“

In einem Barber-Shop in der Metzgerstraße und einem in Bahnhofsnähe müssen die Zollbeamten ihre Kollegen von der Polizei dazurufen. Da bei je einem Angestellten „eine Eintragung bestand“, erklärt die Teamleiterin. Keine Aufenthaltsgenehmigung? Keine Arbeitserlaubnis? Das bleibt im Vagen. Abgeschoben werden muss erst mal aber niemand. „Manchmal sind es Kleinigkeiten, Angaben, die noch fehlen“, erläutert sie. Es mag am freundlichen Auftreten liegen, dass die 30-Jährige ihre Waffe bislang noch nie zücken musste. Aggressionen erlebe sie so gut wie nie. Höchstens werde mal jemand etwas lauter. Zur Überwindung der Sprachbarriere hilft mal eine Smartphone-App, mal der 16-jährige Schulpraktikant. Oder ein Syrer wie Mohamad Shtlo (29), der für seinen Kollegen Ahmad Osan (49) übersetzt. In dessen Salon finden sich am Mittwoch kurz vor 12 Uhr mittags weit mehr Mitarbeiter als Kunden. Zum Wochenende ziehe die Nachfrage stets an, erklärt er. Die Zoll-Teamleiterin ergänzt: Manchmal kommen Mitarbeiter in dieser Branche auch in die Barber-Shops, wenn sie gar nicht arbeiten. „Dort ist einfach das soziale Umfeld.“

Im zweiten Salon, den sie in der Metzgerstraße unter die Lupe nehmen, funktioniert die Kommunikation problemlos. Mit Kaakaa Ali (27) und Omar Kanakrieh (26) sind sowohl der Inhaber als auch sein angestellter Meister vor Ort. Beide stehen den Zollbeamten und Kammervertretern bereitwillig Rede und Antwort. Alle Unterlagen liegen vor. Auch der erst im April eröffnete, optisch durch Schwarz-Weiß- und Rosé-Gold-Optik klar in Damen- und Herrenbereich aufgeteilte Friseursalon bietet günstige Preise. Doch nicht so billig wie einige der umliegenden Konkurrenten.

Warum siedeln sich wie in anderen Städten auch in Reutlingen so viele Barbiere ausgerechnet in einer Straße an? In der Metzgerstraße sind die Mieten erschwinglich. Und Kanakrieh ist überzeugt, die Konkurrenz belebe das Geschäft. Das Problem sei: „Nicht alle arbeiten richtig.“ Alis Geschäft könnte im Moment noch mehr Kunden vertragen. „Aber wir sind noch neu, ein Jahr muss man mindestens durchhalten.“ Von Claudia Reicherter/GEA