Foto: Veronika Wulf

12.07.2013

Hämmern, sägen, feilen

Friseurin, Verkäuferin, Zahnarzthelferin – das sind die Traumberufe vieler Mädchen. Was ist mit Mechanikerin oder Elektrikerin? 33 Realschülerinnen lernten beim Handwerkerinnentag des Mädchentreffs im Frauenprojektehaus in Tübingen neue Berufsmöglichkeiten kennen - jenseits von Vorurteilen und Rollenklischees.

Anja Königseder steht vor der geöffneten Motorhaube eines froschgrünen VW Lupos. Neben ihr schauen vier Mädchen gebannt auf den Motor. Anja erklärt ihnen die wichtigsten Teile am Auto, wie man Reifen wechselt und was man in der Werkstatt so macht. „Habt ihr noch irgendwelche Fragen?“, fragt die gelernte Kfz-Mechanikerin am Ende. „Was passiert, wenn der Motor überhitzt ist?“, fragt ein Mädchen. „Das liegt daran, dass die Kühlflüssigkeit anfängt zu kochen. Aber das ist nicht weiter dramatisch“, so Anja. In der Werkstatt, in der sie ihre Ausbildung gemacht hat, war sie nur unter Männern. Ein Problem war das für sie keineswegs. In der Berufsschule jedoch hat sie sich schon weniger wohlgefühlt. „Die Lehrer wussten nicht, was sie mit mir anfangen sollten, und die Mitschüler hatten irgendwie zu viel Respekt vor mir“, sagt sie rückblickend.

33 Mädchen von verschiedenen Realschulen sind gekommen, um in Berufe reinzuschnuppern, in denen Frauen unterrepräsentiert sind. Der Mädchentreff e.V. im Frauenprojektehaus in Tübingen veranstaltet den Handwerkerinnentag dieses Jahr zum ersten Mal. Finanziert wird er zum großen Teil vom Sozialministerium Baden-Württemberg, das Initiativen zur Berufsorientierung für Mädchen mit dem Programm „Wir können alles?!“ fördert. Diese Initiative soll Mädchen helfen, ihre Kompetenzen zu erkennen und ihre Potentiale zu entwickeln.

Karriere statt Sackgasse

„70 bis 80 Prozent der Realschülerinnen wählen zwischen acht frauenüblichen Berufen aus“, sagt Daniela Schnitzler, eine der Hauptamtlichen des Mädchentreffs. Und die führten häufig in eine Sackgasse, so die Diplom-Pädagogin, die selbst eine Ausbildung zur Schreinerin gemacht hat. „In frauenuntypischen Berufen sind meist bessere Aufstiegschancen, bessere Arbeitszeiten und ein besserer Verdienst gegeben.“

Das Problem: Die Mädchen wissen nicht, welche Möglichkeiten sie haben; dass auch sie als Elektrikerin oder Mechanikerin arbeiten können. Am Handwerkerinnentag bekommen die Mädchen nicht nur Infos zu den Berufen, sie können sich auch selbst ausprobieren. In einem Raum fertigen drei Azubinen von der Firma Magura, die hauptsächlich Fahrradbremsen herstellt, mit den Kindern und Jugendlichen Schlüsselanhänger aus Messing. Plakate an der Wand informieren über Berufsvoraussetzungen, Ausbildungsdauer und das Gehalt.

Zwei Zimmer weiter fliegen die Späne. Simona Schnizer und Hanna Ruoff, Auszubildende der Schreinerei Grad in Bad Urach, geben ihnen dabei Hilfestellung. „Du musst auf die Maserung achten, sonst reißt es aus, so wie hier“, erklärt Hanna einem Mädchen. „Bei Vielen ist das Problem, dass sie noch nie etwas Handwerkliches gemacht haben, und sich dann ein bisschen schwer tun, die Sache in die Hand zu nehmen“, findet Simona. Auch bei Berlinda Richter, Auszubildende beim Malergeschäft Herr in Metzingen, können die Mädchen Hand anlegen und lernen, wie man einen Streichputz aufträgt. „Es muss einem schon liegen, so unter Männern zu arbeiten“, sagt Berlinda über ihren zukünftigen Beruf. „Aber nur mit Frauen zu arbeiten, kann ich mir nicht vorstellen. Da gibt es ständig Zickereien“, fügt sie lachend hinzu. Die 12-jährige Franziska malt ein „S“ mit weißer Farbe auf ihre Musterplatte. „Ich könnte mir auch vorstellen, das mal zu machen“, sagt sie.

Latzhose und Kurzhaarschnitt?

„Wir wollen mit diesem Tag vor allem Vorurteile abbauen“, erklärt Dagmar Schön-Luetkens, Honorarkraft für dieses Projekt. „Wir möchten zeigen, dass Schreinerinnen oder Mechanikerinnen nicht unbedingt burschikos und kurzhaarig sind; dass man als Frau bei einer solchen Arbeit trotzdem Frau sein darf.“ So wie beispielsweise die zierliche Feinwerkmechanikerin Elena Kaipf. Auch sie fühlt sich wohl in der Männerdomäne der Mechaniker. In der Lehre war sie das einzige Mädchen von 27 Auszubildenden bei der Firma Feinmetall. „Das war super!“, schwärmt sie. „Man hat seine Ruhe und wenn man Hilfe braucht, dann helfen die Jungs beim Heben von schweren Sachen.“ Elena hat den Mädchen einen Modell-Lkw mitgebracht, ein Übungsstück aus der Lehre. Sie erklärt ihnen, wie sie ihn gebaut hat und erzählt, dass sie ihren Freundinnen zu Weihnachten immer Schmuck gefertigt hat.

Im letzten Zimmer geht es um Elektronik. Sarah Warwar zeigt den Schülerinnen die Geräte in ihrem Werkzeugkasten und lässt sie selbst ein wenig mit Zange und Kabeln hantieren. „Wenn ihr diese beiden Kabel vertauscht, dann gibt es einen Kurzschluss und das sollte nicht passieren.“ Die 17-Jährige hatte eigentlich nie vor, im Bereich Elektronik zu arbeiten. Polizei war eine Idee – aber dafür ist sie mit ihren 1,55 Metern fünf Zentimeter zu klein. Als sie ein Praktikum bei Elektro Kürner zugeteilt bekam, hatte sie überhaupt keine Lust auf klobige Schuhe und eine Latzhose. „Ich wollte das Praktikum gar nicht und hab voll rumgemeckert“, sagt sie rückblickend. Doch sie hat es trotzdem gemacht. Und es hat sich gelohnt: „Nach einer Woche hat es mir so Spaß gemacht, dass ich gleich noch ein Praktikum gemacht habe.“ Nach diesem zweiten Praktikum bot der Chef ihr einen Ausbildungsplatz an. Den hat sie angenommen. Auch Sarah ist neben einer anderen Frau die einzige im Betrieb. „Das ist eigentlich gar nicht schlecht, ständig mit Jungs unterwegs zu sein“, sagt sie und fügt lachend hinzu: „und die Schuhe machen mir auch nichts mehr aus. Sie sind sogar sehr bequem!“ Veronika Wulf

www.maedchentreff-tuebingen.de