Handwerk 2025: Ideen gegen den Fachkräftemangel
Mit der Gewinnung von Auszubildenden und Fachkräften beschäftigte sich ein Workshop der Handwerkskammer Reutlingen in Trochtelfingen. 20 Unternehmer und Ausbilder tauschten sich über ihre Erfahrungen aus und diskutierten, was Betriebe, Schulen und Politik tun können, damit junge Menschen auch künftig den Weg in die klassische Lehre finden.
„Dialog und Perspektive Handwerk 2025“ heißt das landesweite Projekt des Baden-Württembergischen Handwerkstages und des Wirtschaftsministeriums, in dem praktische Handlungsempfehlungen für Unternehmen, Kammern und Verbände sowie die Politik erarbeitet werden sollen. In zehn Workshops werden Zukunftsthemen wie die Digitalisierung, die Demografie, die Internationalisierung oder die Nachfolge in Unternehmen behandelt.
Harald Herrmann, Präsident der Handwerkskammer Reutlingen, verwies auf die Herausforderungen für das Handwerk, wie beispielsweise den demografische Wandel oder Veränderungen der Betriebsgröße. So nehme die Zahl der Kleinstbetriebe mit weniger als fünf und der Großbetriebe mit mehr als 50 Beschäftigten seit Jahren zu, während der Anteil der ausbildungsstarken Betriebe mit zehn bis zwanzig Mitarbeitern sinke. Daher sei die Veranstaltungsreihe das richtige Projekt zur rechten Zeit. „Die Workshops sind ein geeignetes Format, um gemeinsam Ideen und Ansätze zu entwickeln. Das Praxiswissen der Betriebe ist unbezahlbar“, sagte Herrmann.
Auf was sich Handwerksbetriebe als Ausbilder und Arbeitgeber einstellen müssen, erläuterte Dr. Katarzyna Haverkamp vom Volkswirtschaftlichen Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen. Danach werde der demografische Wandel in den nächsten zehn Jahren auch in den alten Bundesländern ankommen. Bis zum Jahr 2025 sinke die Zahl Schulabgänger um 22 Prozent gegenüber heute. Gleichzeitig setze sich der Trend zum höheren Schulabschluss fort, so Haverkamp. Der Anteil der Abiturienten an den Schulabgängern werde zunehmen, während die Hauptschule weiter an Boden verliere.
In der folgenden Diskussion konzentrierten sich die Praktiker vor allem auf die Nachwuchsgewinnung. Sie sprachen sich dafür aus, auch neue Zielgruppen, wie beispielsweise Studienabbrecher und Flüchtlinge, in den Blick zu nehmen. Bianca Loock-Hummel, Ausbildungsleiterin bei Schwörer Haus in Hohenstein, empfahl, beim Werben um Abiturienten die eigenen Stärken herauszustellen. „Am Ende des Tages hält man ein Werkstück als Ergebnis seiner Arbeit in der Hand.“ Der Ausbildungsalltag in einem Handwerksbetrieb sei abwechslungsreicher als der Vorlesungsbetrieb an der Hochschule.
Und wie erreicht man die umworbenen Jugendlichen? Nicht über die klassische Zeitungsanzeige, meinten die Teilnehmer, sondern mit Events, durch den Austausch unter Gleichaltrigen und vor allem über soziale Medien. Loock-Hummel verwies auf das Konzept einer Facebook-Seite zur Ausbildung in ihrem Betrieb, die von Auszubildenden betreut wird.
Um das Image der Berufsausbildung langfristig zu verbessern, sei das Handwerk auf Multiplikatoren angewiesen, waren sich die Teilnehmer einig. Zum Beispiel die Eltern. Ruben Walz, Geschäftsführer der Kälte Stiel GmbH in Tübingen, machte es an einem einjährigen Berufsorientierungsprojekt fest, an dem sich sein Unternehmen beteiligt hatte. Seine Erfahrung: „Viele Eltern haben eine vorgefasste Meinung, welcher Ausbildungsweg für ihr Kind in Frage kommt und sehen die Chancen nicht, die eine Ausbildung im Handwerk bietet.“
Die Wertschätzung einer handwerklichen Tätigkeit falle aber auch manchem Lehrer schwer, berichtete Yvonne Steinhart, die nach ihrem Bachelorstudium in die elterliche Metzgerei in Gammertingen eingestiegen ist. Als sie einmal einen ehemaligen Lehrer an der Verkaufstheke bediente, fragte der die junge Frau: „Sind Sie nicht überqualifiziert für so was.“ Gezielte Informationsangebote für Lehrer an allgemeinbildenden Schulen seien erforderlich, so das Fazit der Teilnehmer.
Karin Ritter, Ausbildungsleiterin bei der Kirchhoff Systembau GmbH in Münsingen, ging auf den Strukturwandel in ihrer Branche ein. Der Trend zur Konzentration und Industrialisierung eröffne auch Chancen. „Es entstehen Nischen, etwa bei der Sanierung von Gebäuden, die kleine Betriebe nutzen können.“ Adrian Eppler von der Eppler Fenster GmbH & Co. KG in Meßstetten vertraut ebenfalls auf den Markt: „Handwerksbetriebe werden als Arbeitgeber attraktiver, weil Handwerk in Zukunft ein knappes Gut sein wird.“
Zum Projekt
Der Workshop war Bestandteil des landesweiten Projekts „Dialog und Perspektive Handwerk 2025 – Analyse der Potenziale und Strategiebildung für das baden-württembergische Handwerk im Zeithorizont bis 2025“. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg hat zusammen mit dem Baden-Württembergischen Handwerkstag das Institut für Technik der Betriebsführung (itb) Karlsruhe und das Volkswirtschaftliche Institut für Mittelstand und Handwerk (ifh) Göttingen mit der Durchführung dieser Perspektivstudie beauftragt. Aus der Studie, die Herausforderungen, Chancen und Potenziale für die zukünftige Entwicklung des baden-württembergischen Handwerks analysiert, sollen konkrete Handlungsempfehlungen für Betriebe, Organisationen und Politik abgeleitet werden