Konjunktur: Handwerker erwarten schwieriges Quartal
Das Handwerk in der Region durchläuft derzeit gegensätzliche konjunkturelle Entwicklungen. Während die Bau- und Ausbaubetriebe nach einem zufriedenstellenden vierten Quartal 2020 optimistisch ins neue Jahr blicken, hat sich die Lage in den direkt von den Corona-Maßnahmen betroffenen Branchen teils dramatisch verschlechtert.
Nach der jüngsten Umfrage der Handwerkskammer Reutlingen, die Mitte Januar durchgeführt wurde, bewerten 62 Prozent der Betriebe in den Landkreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollernalb die aktuelle Geschäftslage als gut. Ein Rückgang von sieben Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Deutlich gestiegen ist allerdings der Anteil der Unternehmen, die unzufrieden sind. Jeder sechste Befragte (17 Prozent) vergibt die Note „mangelhaft“, rund sechs Mal so viele wie vor einem Jahr.
„Die Stimmung hat sich abgekühlt, wenn auch je nach Branche in unterschiedlichem Ausmaß“, fasst Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Eisert die Umfrageergebnisse zusammen. „Bau, Ausbau und Zulieferer stehen nach wie vor vergleichsweise gut da. Anders ist es bei den rund 4.500 Betrieben in der Region, die direkt oder mittelbar von den Pandemie bedingten Einschränkungen betroffen sind, und dies zum zweiten Mal innerhalb von zehn Monaten.“
36 Prozent der Unternehmen verzeichneten im Schlussquartal 2020 weniger Bestellungen und Aufträge (Vorjahr: 14 Prozent). Einen Zuwachs meldeten hingegen 18 Prozent (Vorjahr: 25 Prozent). In der Folge hat das Auftragspolster über alle Branchen hinweg deutlich abgenommen. Der durchschnittliche Bestand im Bezirk der Handwerkskammer Reutlingen beträgt 7,5 Wochen, drei weniger als vor zwölf Monaten. Die Ausnahme vom allgemeinen Trend stellt das Bauhauptgewerbe dar. Die Maurer, Zimmerer und Dachdecker konnten zuletzt nochmals zusätzliche Aufträge gewinnen und ihren Bestand um drei auf nunmehr 17,3 Wochen ausbauen.
Parallel zum Auftragsrückgang ist die Betriebsauslastung gesunken. Der Anteil der Betriebe, die über erhebliche freie Kapazitäten verfügen, hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Jedes fünfte Unternehmen meldet eine Auslastung von bis zu 60 Prozent (Vorjahr: 9,4 Prozent). Gleichzeitig hat sich die Zahl der Betriebe, die über die 100-Prozent-Marke gehen, von 20 Prozent auf 12 Prozent nahezu halbiert.
Die Erwartungen für die kommenden Wochen fallen zurückhaltend aus. Allein die Metall- und Elektrobetriebe rechnen mit Blick auf die stabile Lage ihrer Industriekunden mit besseren Geschäften. Das Bauhauptgewerbe sieht momentan kein Potential für weitere Zuwächse, geht aber von einer unverändert guten Lage aus. Alle anderen Branchen liegen mit ihrer Prognose im negativen Bereich. Der Erwartungsindex für die Handwerkskammer Reutlingen fällt auf minus 25,6 Punkte, in der Gruppe der Personenbezogenen Dienstleister gar auf minus 73,9 Punkte.
Für manche dieser Betriebe gehe es mittlerweile um die Existenz, so Eisert. „Der harte Lockdown kann nicht endlos verlängert werden, selbst wenn massiv finanzielle Hilfen für Unternehmen gewährt werden.“ Deshalb sei es höchste Zeit für eine Öffnung der Betriebe. Bereits vor zwei Wochen hatte die Kammer gemeinsam mit den fünf Friseurinnungen im Bezirk in einem Schreiben an Ministerpräsident Kretschmann, Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut und Sozialminister Lucha unter Hinweis auf die große Not der Betriebe und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Wiedereröffnung der rund 1.750 Friseur- und Kosmetikbetriebe zum 1. Februar gefordert.
„Diese Unternehmer haben ihre Hausaufgaben bereits im Frühjahr vergangenen Jahres gemacht und im darauffolgenden Sommer bewiesen, dass die erforderlichen Hygienestandards erfüllt werden und die Sicherheit von Kunden und Beschäftigten gewährleistet ist. Dies würden die Betriebe auch jetzt wieder garantieren.“, betont Eisert. „Jeder weitere Tag im Lockdown gefährdet diese Betriebe, Arbeitsplätze und Lehrstellen." Dass die Handwerkskammer hierauf bislang keine Antwort erhalten habe, sei für eine dem Mittelstand angeblich verpflichtete Regierung erstaunlich.
Die 13.600 Handwerksbetriebe in den Landkreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollernalb erwirtschaften einen Umsatz von 9,7 Milliarden Euro, beschäftigen über 78.000 Mitarbeiter und bilden rund 4.900 junge Menschen aus.
Den detaillierten Konjunkturbericht finden Sie unter www.hwk-reutlingen.de/konjunktur.