Vier-Tage-Woche in der Zimmerei: Anders arbeiten
Volle Auftragsbücher, sichere Jobs - und trotzdem fehlten plötzlich die Arbeitskräfte. Um junge Talente gezielt anzusprechen, hat der Mössinger Zimmerermeister Jochen Geiger vor einem Jahr die Vier-Tage-Woche eingeführt.
In einer solchen Lage hatte sich Jochen Geiger noch nicht befunden: volle Auftragsbücher, die auf längere Sicht für eine gute Auslastung der Zimmerei und sichere Jobs sorgen, aber plötzlich fehlten die Arbeitskräfte. Nachdem zwei Gesellen gekündigt hatten, schrumpfte die Belegschaft des Mössinger Traditionsbetriebs Mitte vergangenen Jahres auf drei Mitarbeiter. Es sei eine schwierige Situation gewesen, sagt der 48-jährige Firmenchef, aber Not mache bekanntlich erfinderisch.
„Wir haben uns gefragt, wie wir junge, ausgelernte Facharbeiter ansprechen können und wie wir uns im Wettbewerb um diese umworbene Gruppe abheben können. Die Antwort ist: Wir müssen uns ändern, um als attraktiv wahrgenommen zu werden. Zum Beispiel, indem wir die Arbeit anders organisieren“, sagt der Zimmerermeister.
Im Oktober 2022 hat das Unternehmen die Vier-Tage-Woche eingeführt. Das bedeutet zunächst einmal längere Arbeitstage. Damit der Freitag frei ist, wird von Montag bis Donnerstag 9,5 Stunden täglich gearbeitet. Bereits seit 2019 galt im Betrieb die 4,5 Woche.
Einfach mal angefangen
Der Einstieg sei „relativ spontan“ erfolgt. Geigers Vorbereitung beschränkte sich auf Gespräche mit Kollegen und eigene Recherchen im Internet. Professionelle Beratung hat er nicht in Anspruch genommen. Nach einem Jahr fällt die Bilanz positiv aus. Vier neue Mitarbeiter, zwei Junggesellen und zwei Auszubildende, sind hinzugekommen. Und für die, so Geiger, sei die Vier-Tage-Woche eben das gewisse Extra gewesen, das den Ausschlag gegeben habe.
„Wir haben ein junges, motiviertes Team, das diesen Freiraum schätzt“, sagt Geiger. Die Mitarbeiter sind zwischen 20 und 26 Jahre alt, der jüngste Auszubildende ist 15. Aber auch die Kollegen, die schon länger dabei sind, haben sich der Neuerung nicht verschlossen. „Die Resonanz war durchweg positiv. Alle haben mitgezogen.“
Viel Zustimmung erhält Geiger auch von seinen Kunden. Zwar sei die Vier-Tage-Woche erklärungsbedürftig, so Geiger. Letztlich schrecke die Vorstellung von einer am Freitag verwaisten Baustelle aber niemanden ernsthaft. Die Rückmeldungen seien vielmehr positiv. Mancher Auftraggeber, so Geiger, finde es einfach „klasse, dass ihr so etwas anbietet“. Hingegen fielen die ersten Reaktionen der Handwerkskollegen geteilt aus. „Manche fanden es positiv, manche reagierten reserviert.“
Kommunikation ist das A und O
Die Zimmerei ist ein Unternehmen mit klassischem Angebot: Neubau, Erweiterungen und Modernisierungen, Dachfenster und Gauben, Fassaden und Carports. Schon allein aufgrund der Betriebsgröße ist die Vier-Tage-Woche nicht in Stein gemeißelt. Bei Auftragsspitzen oder dringenden Terminen sei eben Flexibilität gefragt, sprich müsse auch mal am Freitag gearbeitet werden, betont Geiger. Entscheidend seien die Kommunikation und eine umsichtige Planung. „Das stellt in der Regel kein Problem dar, vorausgesetzt es wird rechtzeitig besprochen und trifft nicht immer dieselben Mitarbeiter. Mit einer Woche Vorlauf lassen sich solche Fragen regeln. Wir stehen als Betrieb zusammen.“ Zwei Punkte sind ihm wichtig: am Freitag ist nach sechs Stunden Schluss, und das Abweichen von der Vier-Tage-Woche darf nicht zum Dauerzustand werden.
Kommunikation ist ein Thema, das Geiger besonders am Herzen liegt, einmal weil sie der Schlüssel ist für eine reibungslose Organisation und Zusammenarbeit im Unternehmen, aber eben auch, weil der Austausch auf Augenhöhe gelebte Wertschätzung ist. „Ich will Mitarbeiter, die ihr Wissen und ihre Ideen einbringen. Da ist es selbstverständlich, dass Vorschläge auch aufgegriffen und besprochen werden.“ Jeder Arbeitstag beginnt mit einer Besprechung im Team und einem Rückblick auf den Vortag. Ebenso ist das Jahresgespräch seit langem Standard. Ansonsten gelte die Regel: „Der Chef muss ansprechbar sein.“
Geiger sieht sich auf dem richtigen Weg. Die Vier-Tage-Woche funktioniere, sowohl auf der Baustelle und betriebswirtschaftlich, als auch untereinander im Team. Und der Plan, neue Mitarbeiter zu gewinnen, sei voll aufgegangen. „Wir bleiben dabei und wollen auch in Zukunft neue Ansätze probieren.“ Die Bereitschaft hierzu, sei im Handwerk noch entwicklungsfähig, sagt Geiger. Viele Betriebe hielten an traditionellen Vorstellungen fest. „Ich gehe lieber voran. Das ist besser, als hinterher rennen zu müssen.“
Keine Frage der Betriebsgröße
Die Betriebsgröße sei, so seine Erfahrung, nicht entscheidend. „Kleine sind eher im Vorteil, weil sie schneller und flexibler reagieren können“, ist Geiger überzeugt. „Wir müssen keine Abteilungen umorganisieren.“ Sein Pensum sei im Übrigen unverändert geblieben. „Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass der Chef auch frei hat.“ Geiger ist nach wie vor sechs Tage die Woche im Betrieb, von Montag bis Donnerstag ist er auf der Baustelle, der Freitag ist für Kundengespräche reserviert. Für ihn ist diese Struktur ein Gewinn.
Seine Zukunftspläne für das 1908 gegründete Unternehmen beschreibt er so: „Ich will den Betrieb noch viele Jahre erfolgreich führen.“ Wachstum sei nicht geplant. Wichtiger ist ihm, das Unternehmen qualitativ voranzubringen. „Die Menschen, die bei uns arbeiten, sollen sich wohlfühlen und mit Freude dabei sein. Das schafft Motivation und Bindung und stärkt das Unternehmen langfristig.“
Für die mediale Präsenz sorgt der Chef selbst – und das mit beachtlichem Erfolg. Das Unternehmen ist seit 2020 auf Instagram aktiv und bietet Kunden wie potentiellen Bewerbern Einblicke in das Gewerk, den Betrieb und laufende Arbeiten. Inzwischen hat der virtuelle „Schauraum“ mehr als 46.000 Follower. Es sei ein Riesenaufwand, sagt Geiger, „aber es lohnt sich.“
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