„Es wird zu wenig für den Mittelstand getan: Harry Knoll im Gespräch mit Joachim Eisert und Präsident Joachim Möhrle (v.l.n.r.).

Peter Reiß (links) erläutert Joachim Eisert und Präsident Joachim Möhrle ein Kunststofffenster.

Theodor Schilles (links): Um solche Kunststoffteile fertigen zu können, sind gute Mathematikkenntnisse Voraussetzung.

Höchste präzision ist gefordert: Joachim Eisert (links) im Gespräch mit Thomas Schilles (rechts).

Zu Besuch beim Gammertinger Bauunternehmen Lieb: Hauptgeschäftsführer Joachim Eisert, Bauunternehmer Wolfgang Lieb, Bürgermeister Holger Jerg und Joachim Möhrle (v.l.n.r.).

21.06.2007

Tradition trifft Innovation

Von der Metzgerei in die Bäckerei, vom Schreiner über den Werkzeugmacher ins Bauunternehmen: Joachim Möhrle, Präsident der Handwerkskammer Reutlingen, und Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Eisert hatten sich auf ihrer Reise durch den Landkreis Sigmaringen viel vorgenommen. In ausführlichen Gesprächen wollten sie sich ein Bild davon machen, was die Handwerker im Kreis beschäftigt.

So platt es klingt: Interessen erfolgreich vertreten kann nur, wer diese Interessen auch kennt - und wer vor Ort fragt, was wirklich unter den Nägeln brennt. Deswegen besuchen Jochim Möhrle, Präsident der Handwerkskammer Reutlingen, und Hauptgeschäftsführer Joachim Eisert in den kommenden Monaten alle Landkreise des Kammerbezirks. Den Auftakt machte der Landkreis Sigmaringen.

Es fehlt an passenden Bewerbern

Und hier bestätigte sich einmal mehr, was ohnehin in aller Munde ist: Dem Handwerk fehlt es an passenden Bewerbern für Lehrstellen. Denn so unterschiedlich die Betriebe waren, die Möhrle und Eisert gemeinsam mit Karl Griener, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, und Hermann Pfaff, dem stellvertretendem Kreishandwerksmeister besuchten, gemeinsam hatten sie die Sorge um den Nachwuchs.

Theodor und Thomas Schilles zum Beispiel haben mit den schlechten Mathekenntnissen der Bewerber zu kämpfen. Vater und Sohn führen in Inzigkofen einen Werkzeugmacherbetrieb mit zwölf Mitarbeitern, und sie brauchen Lehrlinge, für die Cosinus und Sinus keine Fremdwörter sind – und die sind nicht immer leicht zu finden.

Dieses Problem kennt auch der Gammertinger Bauunternehmer Wolfgang Lieb. Er bildet in seiner Josef Lieb GmbH jedes Lehrjahr zwei bis drei junge Menschen aus und sagt: „Gerade der Baubereich leidet unter seinem schlechten Ruf.“ Für viele Bewerber wäre der Bau die letzte Wahl – junge Kollegen für seine 65 Mitarbeiter zu finden, ist inzwischen schwierig geworden.

Wie schwierig, weiß Schreinermeister Peter Reiß, der in Ostrach Fenster, Haustüren und Wintergärten herstellt. Von seinen 22 Mitarbeitern hat er fast alle selbst ausgebildet, „aber zurzeit haben wir keinen Auszubildenden, weil wir keine geeigneten Bewerber finden.“

Das zeigt: Die Bereitschaft auszubilden ist nach wie vor hoch im Handwerk, nur hapert es an der Ausbildungsreife der jungen Menschen. Das sagte auch Präsident Joachim Möhrle in einem Pressegespräch in der Meßkircher Konditorei und Bäckerei Herman Brecht (siehe Artikel „Nicht der Reparaturbetrieb der Nation“). „Es ist ein Problem, dass die Hauptschulen so runtergebuttert werden“, sagte Konditor- und Bäckermeister Brecht. Auch er habe die Erfahrung gemacht, dass viele Bewerber weder ausreichende Fähigkeiten in Deutsch noch in Mathematik hätten.

Mittelstandsfeindliche Politik

Die Klagen des Handwerks über den Ausbildungsstand sind also keine hohlen Phrasen und ziehen sich quer durch die Gewerke – ähnlich wie die Kritik an der mittelstandsfeindlichen Politik, mit der sich die Unternehmer konfrontiert sehen. „Wir stellen fest, dass nicht viel für den Mittelstand getan wird“, sagte denn auch Harry Knoll, der in seiner Metzgerei in Meßkirch 70 Mitarbeiter hat und neben seinen eigenen sechs Filialen auch Altenheime und Krankenhäuser mit seinen Waren beliefert. „Wir brauchen ein Umfeld, in dem es auch kleinen Betrieben möglich ist zu existieren. Denn wenn es den Kleinen gut geht, geht es der Wirtschaft gut.“

Hauptgeschäftsführer Eisert brachte das Dilemma auf den Punkt: „Mehr als 98 Prozent der Betriebe sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Die Politik aber wird gemacht für weniger als zwei Prozent der Betriebe: für die Großunternehmen.“ Für ihn und Präsident Möhrle war das jüngst Anlass für eine deutliche Kritik an der EU: In einem Brief an EU-Kommissar Günter Verheugen forderten sie mehr Einsatz für die Belange der KMU und verwiesen auf viele Beispiele für KMU-feindliche Politik. „Wir haben zum Beispiel auf die Diskriminierungsrichtlinie hingewiesen, die im Handwerk mit der selben Brutalität durchgesetzt wurde wie bei Großunternehmen, ohne auf die Unterschiede und die Eigenheiten des Handwerks zu achten“, so Eisert.

Mit der Zeit gehen

Eine Politik, die sich nur an den wenigen Großen orientiert, junge Menschen, denen es am Rüstzeug für eine Ausbildung fehlt – was kann das Handwerk tun, um in diesen Zeiten zu bestehen? Die beste Antwort lieferten die Betriebe, die Möhrle und Eisert besuchten – und das ganz ohne große Worte. Sie alle teilen ein Erfolgsgeheimnis: Sie setzen auf Tradition – und gehen trotzdem mit der Zeit.

Tradition als Garant für Qualität trifft Innovation: Das sieht je nach Handwerk anders aus. Metzger Knoll zum Beispiel hat schon lange begriffen, was sich in seinen Filialen geändert hat: „Früher hat das Angebot bestimmt, was die Leute kaufen. Heute bestimmt die Kundschaft das Angebot.“ Und Metzger Knoll hat sich darauf eingestellt – und nicht nur auf das. Auf die neuen EU-Hygienevorschriften reagierte er nicht mit teuren Umbauten, sondern gab die Schlachtung außer Haus.

Und auch Brecht, in der Region bekannt für sein Gebäck namens „Katzendreck“, beschreitet neue Wege. Neben seinem Meßkircher Café hat er im März auch eine Filiale in Stockach eröffnet und ist mit seiner „Katzendreck-Arena“, einer Sportsbar in Meßkirch, auch für junges Publikum attraktiv.

Auch der Betrieb von Vater und Sohn Schilles wächst stetig – und das auch im Angebot. Hat der Betrieb früher nur die Werkzeuge für Spritzgussteile im eigenen Haus hergestellt, bekommen seine Kunden heute auch die Teile selbst aus dem Hause Schilles.

Ohne Innovation geht es nicht. Das wissen auch Peter Reiß und Sohn Norbert Reiß. Bei ihnen finden Kunden modernste Fertigungsverfahren und Produkte. Und auch für weite Wege ist sich das Unternehmen nicht zu bequem: Viele Aufträge kommen vom Bodensee – im eher strukturschwachen Landkreis Sigmaringen ein wichtiges Standbein.

Seinen Radius hat auch Bauunternehmer Lieb vergrößert: Seine Aufträge führen ihn immer wieder bis nach Stuttgart. Er produziert das meiste selbst und kauft nur wenig zu – wenn, dann ordert er in der Region. „Wir pflegen unsere handwerkliche Tradition“, sagt Lieb – und spricht damit für all die Betriebe, die Möhrle und Eisert im Kreis Sigmaringen besuchten. Denn wer handwerkliche Tradition bietet, liefert damit das wohl Wichtigste überhaupt: „Unsere Kunden“, sagt Theodor Schilles, „wissen, dass sie bei uns Qualität bekommen.“