Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU
Europa bietet Chancen, stößt aber immer wieder auf Vorbehalte. Dies gilt auch für die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Arbeitnehmer aus acht osteuropäischen Ländern können ab dem 1. Mai ohne Arbeitsgenehmigung einer Beschäftigung in Deutschland nachgehen. Mehr als 200 Handwerker waren einer Einladung der Handwerkskammer Reutlingen in die Friedrich-List-Halle gefolgt, um sich über die neuen Regelungen zu informieren.
Die bisherigen Beschränkungen entfallen für Arbeitnehmer aus den Beitrittsstaaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Richard Schweizer, Justiziar der Handwerkskammer, erwartet von der Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts vor allem positive Effekte: „Der Zugang qualifizierter Arbeitskräfte aus Osteuropa ist ein probates Mittel gegen den Fachkräftemangel.“ Schweizer empfahl, von den neuen Regelungen Gebrauch zu machen.
Ulrich Häfele, Leiter der Reutlinger Agentur für Arbeit, stimmte zu: „Migration zahlt sich aus und schafft Wachstum.“ Zu den Verlierern zählten schlecht ausgebildete Migranten, die bereits in Deutschland sind. Diese Gruppe müsse zumindest vorübergehend mit einem höheren Arbeitsplatzrisiko und sinkenden Löhnen rechnen. Die Bundesagentur schätzt, dass bis zum Jahr 2020 zwischen 350 000 und 900 000 Arbeitskräfte zusätzlich zuwandern könnten. Ob es tatsächlich so komme, so Häfele, sei keineswegs ausgemacht. Er empfahl, eine neue Willkommenskultur in Deutschland zu entwickeln und forderte aktives Bemühen um Integration. „Schauen Sie, dass diese Menschen im Betrieb und darüber hinaus eine Heimat finden.“
Gleicher Lohn, ungleiche Sozialkosten
Jan Dannenbring, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt, Tarifpolitik und Arbeitsrecht beim Zentralverband des Deutschen Handwerks in Berlin, rechnet nicht mit einer Flut gut ausgebildeter Fachkräfte aus Lettland oder Slowenien. Die Hauptursache sieht er in der stark verbesserten wirtschaftlichen Lage in den Heimatländern. Auch führe die neue Freizügigkeit nicht zu einem Verdrängungswettbewerb zwischen teuren inländischen und billigen osteuropäischen Arbeitskräften. Allein um den demografisch bedingten Rückgang an Erwerbspersonen in Deutschland auszugleichen, betonte Dannenbring, seien pro Jahr rund 200 000 Zuwanderer erforderlich. „Es gilt das deutsche Arbeits- und Tarifrecht“, stellte der Verbandsvertreter klar. Anders sehe es bei den Sozialversicherungen aus. Entsandte Arbeitnehmer unterlägen den Regeln des Herkunftslandes. Dadurch könnte ausländischen Betrieben ein Kostenvorteil gegenüber den einheimischen Mitbewerbern entstehen.
Herbert Raach, Geschäftsstellenleiter der IKK classic in Reutlingen, erläuterte die wichtigsten Versicherungsfragen. Zum Beispiel diese: ein Reutlinger Handwerksbetrieb schickt einen Mitarbeiter für je drei Monate nach Rom, Mailand und Madrid. Die Entsendung bleibt ohne sozialversicherungsrechtliche Folgen. Für die gesamten neun Monate gelten die deutschen Bestimmungen. Für seinen Kollegen aus Prag, der von seiner Firma aus Tschechien für maximal 24 Monate nach Deutschland entsendet wurde und anschließend zurückkehrt, gelten hingegen die Regelungen seines Heimatlandes weiter. Grundsätzlich kommen immer die Rechtsvorschriften des EU-Staates zur Anwendung, aus dem Mitarbeiter entsandt werden. Vorausgesetzt die Zwei-Jahres-Frist wird eingehalten. „Informieren Sie sich frühzeitig und ausführlich", so die einstimmige Empfehlung der Referenten. Rat gibt es bei den Arbeitsagenturen und den Krankenkassen.
Die Präsentationen der Referenten stehen unter http://www.hwk-reutlingen.de/veranstaltungen.hmtlwww.hwk-reutlingen.de/veranstaltungen.html zum Download zur Verfügung.