07.12.2007

Auf Reformkurs bleiben

Zur Halbzeit der Großen Koalition wünscht sich Joachim Möhrle von der Bundesregierung vor allem eines: dass sie auf Kurs bleibt und weiter „saniert, reformiert, investiert“. Das sagte der Präsident bei der Wintervollversammlung der Handwerkskammer Reutlingen.

Für die zweite Halbzeit der Legislaturperiode erwarte das Handwerk deutliche Wachstumssignale von der Bundesregierung. Die Binnenkonjunktur müsse weiter gestärkt werden, so Möhrle. Ein wichtiges Thema auf der Agenda des Handwerks bleibe weiterhin die Senkung der Lohnnebenkosten.

Auf ihrem Reformkurs hatte sich die Große Koalition auch der Erbschaftssteuer angenommen. Aus Sicht des Handwerks sei besonders zu begrüßen, dass an Kinder vererbtes Betriebsvermögen künftig bis zu 2,66 Millionen, an Ehepartner vererbtes bis zu 3,25 Millionen vollständig erbschaftssteuerfrei sein soll.

Auch mit Brüssel zeigte Möhrle sich zufrieden, zumindest was eine jüngst getroffene Entscheidung zum Meisterbrief betrifft: Nach intensiver Lobbyarbeit habe das Handwerk die EU dazu bewegen können, den Meisterbrief in dem fünfstufigen Schema der Berufsanerkennungsrichtlinie nach oben zu stufen. Der Meisterbrief sei von der zweiten auf die dritte Stufe gewandert und werde damit nicht mehr bloß als „Prüfungszeugnis über eine Berufsausbildung“ bewertet, sondern als „Diplom mit kurzem Ausbildungsgang“, so Möhrle. Damit bleibe dem Handwerk erspart, niedrige ausländische Abschlüsse als mit dem Meister gleichwertig anzuerkennen. Das „klare Bekenntnis zum Meisterbrief“ fördere zudem die Mobilität der deutschen Meisterbetriebe in Europa.

Neues gab es auch von den Organisationen des Handwerks selbst zu vermelden. In die Debatte um die Strukturreform sei wieder Bewegung gekommen, nachdem sich im Sommer die Fronten zwischen Kammern und Verbänden in Baden-Württemberg zusehends verhärtet hätten, sagte Möhrle, der auch dem Baden-Württembergischen Handwerkstag (BWHT) als Präsident vorsitzt. Eine von ihm selbst moderierte paritätisch besetzte Gruppe aus Kammer- und Fachverbands-Vertretern habe sich darauf geeinigt, die umstrittene Arbeitsrechtsberatung in die Hände der Fachverbände und Innungen zu geben.

Die Kammern wollten sich demnach künftig auf eine neutrale arbeitsrechtliche Grundberatung auf Basis der gesetzlichen Bestimmungen außerhalb tariflicher Regelungen beschränken. Konfliktgeladene Beratung dagegen solle in Zukunft allein Aufgabe der Fachverbände, Innungen mit eigener Geschäftsführung bzw. der innungs-geschäftsführenden Kreishandwerkerschaften sein. „Damit haben beide Seiten ihre Maximalpositionen aufgegeben“, sagte Möhrle. Nun sei zu hoffen, dass Ruhe einkehre – im Interesse der Betriebe. Denn die wünschten einfach nur gute Beratung – egal, wer sie ihnen anbiete.

Zu den Feinstaubregelungen sagte Möhrle, die nun etwas weiter gefassten Ausnahmeregelungen seien immerhin ein Fortschritt für das Handwerk. Er kritisierte jedoch scharf, „dass die Nachrüstung von Nutzfahrzeugen nicht gefördert wird, deren Anteil am Feinstaubminderungspotenzial bei Dieselfahrzeugen immerhin 60 Prozent ausmacht“.

Kritik übte Möhrle auch an der Reform der Pflegeversicherung. Sie verpasse es erneut, „zumindest in die Teilkapitaldeckung einzusteigen“, sagte Möhrle. „Wir hätten uns angesichts der Defizite in der Pflegeversicherung ein Umsteuern hin zu einer privaten, kapitalgedeckten Versicherung gewünscht.“ Wegen der demografischen Entwicklung sei ein Systemwechsel dringend nötig. Die Chance für diesen Wechsel habe die Koalition nun einmal mehr vertan. Dass Mitarbeitern künftig ein Rechtsanspruch auf Pflegezeit zur Pflege von Angehörigen gewährt werden soll, greife in die Personalhoheit der Betriebe ein und bringe ihnen zusätzliche bürokratische Belastung statt wie versprochen Entlastung.

Auch bei der Reform der gesetzlichen Unfallversicherung gehe es im entscheidenden Punkt nicht richtig voran, sagte Möhrle: „Die vom Handwerk und der gesamten Wirtschaft geforderte Verschlankung des Leistungskataloges ist noch nicht aufgegriffen worden.“ Möhrle nannte es zudem „völlig unverständlich“, dass an eine Änderung im Schwarzarbeiterversicherungsschutz weiterhin nicht gedacht werde. Offenbar bewegen diese Themen auch die Handwerker in der Region: Bei einer Online-Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) zum Berufsgenossenschaftswesen stammten über die Hälfte der in Baden-Württemberg abgegebenen Stimmen aus dem Bezirk der Handwerkskammer Reutlingen. Das sei einer der besten Kammerbeteiligungswerte in der Bundesrepublik.