Aus dem Hörsaal in die Werkstatt
Knapp 30 Prozent der Bachelor-Studenten verlassen ohne Abschluss die Universität. Nicht für jeden ist ein Studium der richtige Weg. Wer aussteigt, steht vor der Frage, wie es weiter gehen soll. „Eine Ausbildung im Handwerk kann eine gute Alternative sein“, weiß Michaela Lundt, Ausbildungsexpertin bei der Handwerkskammer Reutlingen.
Mehr als 500.000 Studenten beginnen jährlich ein Studium, Tendenz weiter steigend. Zu Semesterbeginn sind die Hörsäle prall gefüllt. Für ihren Wunschstudienplatz nehmen einige junge Menschen sogar lange Wartezeiten in Kauf. Nur etwas mehr als Zweidrittel halten aber bis zum Ende durch. Knapp 30 Prozent verlassen die Uni ohne Abschluss. Die wichtigsten Gründe für den Studienausstieg sind unter anderem Leistungsprobleme, finanzielle Engpässe, mangelnde Motivation und fehlender Praxisbezug – so eine Untersuchung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW).
„Man sieht, was man geschafft hat“
So war für Simon Hurler nach dem Abitur der Fall zunächst klar. Er schrieb sich für Biologie an der Universität Tübingen ein. Nach zwei Semestern entschied er sich für einen Schnitt und wechselte aus Hörsaal und Labor auf die Baustelle. Seit September macht er eine Ausbildung zum Zimmerer. Warum Handwerk? „Das braucht man auf der ganzen Welt“, meint Hurler.
Ein kaufmännischer oder technischer Beruf mit anschließender Bürolaufbahn kam jedenfalls nicht in Frage. „Ich will draußen arbeiten.“ Am Zimmererberuf gefällt ihm die Abwechslung. „Es ist ein vielseitiges Handwerk. Jede Baustelle ist ein wenig anders.“ Hurler ist im Betrieb von Zimmerermeister Jürgen Löffler angekommen und hat neues Selbstvertrauen gewonnen. Es sei die richtige Entscheidung gewesen, das Studium abzubrechen. „Im Handwerk sieht man, was man geschafft hat. Das gibt Bestätigung.“
„Du wirkst viel glücklicher und zufriedener“
Thomas Ramchen fing im Juli 2014 als Ferienjobber an, und bereits im September begann er seine Lehre bei der Glaserei Gutekunst. Was sagten die Eltern dazu? „Sie unterstützen mich seit dem ersten Tag und rieten: Wenn dir das besser gefällt, mach das doch!“ Seither bekam er von überall die Rückmeldung: „Du wirkst viel glücklicher und zufriedener“. Und wenn er sich heute noch mit ehemaligen Kommilitonen trifft, seien die zum Teil ziemlich abgekämpft. »Sie verstehen meine Entscheidung – lieber ein guter Glaser zu sein als ein mittelmäßiger Ingenieur.“
Nur an der Maschine zu stehen, sei nicht sein Ding, sagt er. »Das traditionelle Handwerk wie früher, zum Beispiel gebogene Fenster von Hand herzustellen, das fasziniert mich. Es gibt so viele unterschiedliche Fensterarten, und bei der Fertigung kommen viele spezielle Werkzeuge zum Einsatz. Ohne Kreativität und Herzblut kommt man in diesem Beruf nicht aus – und auch Improvisationstalent gehört dazu. „Wir machen oft Dinge, die es eigentlich nicht gibt“, schmunzelt Ramchen.
130 Berufe mit viel Praxis
Nur 31 Prozent der Aussteiger aus Bachelor-Studiengängen beginnen laut DZHW eine Ausbildung. Ausbildungsexpertin Michaela Lundt von der Handwerkskammer erklärt: „Das Handwerk bietet Studienaussteigern attraktive Ausbildungsplätze in über 130 Berufen mit viel Praxis, eigenem Gehalt und guten Aufstiegschancen. Studienaussteiger haben dabei sogar die Möglichkeit, die Ausbildung um ein Jahr zu verkürzen. Wenn sie im Anschluss den Meisterbrief machen, haben sie zudem einen Abschluss in der Tasche, der dem Bachelor gleichgestellt ist.“
Bei der Entscheidung für den passenden Handwerksberuf helfen die Berater der Handwerkskammer. Speziell für Studienaussteiger werden in Kooperation mit Universitäten und Arbeitsagentur auch vor Ort Beratungen angeboten, so zur verkürzten Ausbildung und zu passenden Ausbildungsbetrieben. Der Weg vom Hörsaal in die Werkstatt ist bei vielen unglücklichen Studenten aber noch nicht hinreichend bekannt. Michaela Lundt rät: „Wer mit dem Studium nicht klarkommt, sollte damit aufhören. Ein Praktikum in einem Handwerksbetrieb, beispielsweise in den Semesterferien, schafft Klarheit, wie es weitergehen kann.“
Zur Information
Aktuell greift die Imagekampagne des deutschen Handwerks das Thema Studienabbrecher auf. Kurze Videosequenzen zeigen Studienaussteiger als „Helden des Handwerks“. Zu sehen auf www.handwerk.de/walloffame, auf Facebook, YouTube, Instagram und weiteren Websites.