17.11.2004

Durch Katastrophen lernen

Staaten würden offensichtlich erst durch Katastrophen lernen - mit dieser bitteren Erkenntnis leitete Peter Voß, Intendant des Südwestrundfunks und Festredner der diesjährigen Meisterfeier, seine Rede ein.

Einen ‚Wendepunkt' - und die damit verbundene Hoffnung, die mit dem Begriff "Krise" als der Bezeichnung des Höhepunktes einer Krankheit verbunden sei - könne er bei der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklung allerdings noch nicht feststellen.

Die Krise der Sozialsysteme führe vielmehr zu einer Wirtschaftskrise, und es sei zu befürchten, dass über kurz oder lang eine allgemeine Krise der Demokratie die Folge sein könnte.

Zwar sei Deutschland immer noch Exportweltmeister, Deutschland sei zugleich aber auch ein Meister im Export von Arbeitsplätzen. Deshalb müssten die Arbeitskosten gesenkt werden - wenn auch nicht auf das Niveau von Billiglohnländern. Denn nach wie vor gebe es einen Qualitätsvorsprung deutscher Produkte, den zu halten es jedoch großer Anstrengungen bedürfe.

Auch deshalb habe er die politischen Diskussionen über die Abschaffung des Meisterbriefes im vergangenen Jahr nicht verstanden, denn das Thema einer modernen Ausgestaltung des Meisterbriefes sei von der Politik nicht hinreichend thematisiert worden. Die PISA-Studie habe dabei jedoch gezeigt, so Voß, dass gerade mehr Qualifikationen gefordert seien, dass Weiterbildung in der Tat eine lebenslange Aufgabe sei.

Die aktuelle Krise habe jedoch noch weit reichendere Aspekte: Die Zurückhaltung der Menschen beim Konsum - der unter anderem auch dem Handwerk direkt zu gute kommen würde - hänge mit der allgemeinen Ungewissheit zusammen, was auf die Menschen in den nächsten Jahren zukommen könnte. Denn die aktuellen Reformen träfen in der Tat in erster Linie die ‚kleinen Leute'.

Die Modernisierungskrise der islamischen Gesellschaft, die eine gefährliche revolutionäre Dynamik in sich berge, der Bevölkerungsschwund in unserem Land, die wachsende Gleichgültigkeit der Menschen, die ‚Unfähigkeit, sich zu freuen', die wachsende Komplexität gesellschaftlicher Entwicklungen, der Verlust des Spielraums für einzelne Politiker, ein Ungleichgewicht in der Gerechtigkeitsfrage nach dem Motto "Aktien, Aktien über alles" - Peter Voß breitete ein wahrlich großes Spektrum aktueller politischer Einschätzungen vor den rund 900 Teilnehmern der Meisterfeier aus.